Schon vor der Geburt eines Kindes werden geschlechtsspezifische Bilder auf das Baby projiziert: Welche Wandfarbe wird sein Zimmer haben? Welche Kleider und Spielsachen wird es haben? Welche Aktivitäten werden gefördert und welche unterbunden werden?
Erwachsene tendieren dazu, sich anders zu verhalten, je nachdem, ob das Baby ein Mädchen oder ein Junge ist. Je nach Geschlecht des Kindes werden andere Äusserungen gemacht (z.B. sie ist süss, er ist kräftig) und andere Gesten verwendet. Schon im frühen Alter kommen Attribute von Passivität und Aktivität, Fügsamkeit und Selbstbehauptung ins Spiel. Den Kindern werden explizite Botschaften vermittelt, was getan oder eben unterlassen werden soll (z.B. «klettere nicht auf Bäume» für Mädchen, «weine nicht» für Jungen). Diese Botschaften, welche die Erwachsenen verinnerlicht haben und oftmals ganz unbewusst vermitteln, haben einen starken Einfluss auf die Kinder.
Ausserdem werden diese Botschaften nach und nach über Spielsachen und Spiele, Vorlesen und Medien vermittelt (eindeutige «Mädchenspielsachen» z.B. haben mit dem Innenbereich, dem häuslichen Bereich, Pflege usw. zu tun, klare «Bubenspielsachen» hingegen mit dem Aussenbereich, Abenteuern, Arbeit usw.).
Die geschlechtsspezifischen Normen werden über Sozialisierungsprozesse (Familie, Krippe, Schule, beruflicher Kontext) verinnerlicht. Sie sind weder angeboren noch natürlich oder universell. Anders gesagt: Sie sind das Ergebnis sozialer, kulturell und historisch verankerter Entscheide. Was hier bei uns als weiblich oder männlich gilt, kann anderswo ganz anders betrachtet werden; die Codes von heute sind nicht unbedingt die gleichen wie die von damals oder die künftigen. Im Mittelalter beispielsweise war blau eine «Mädchenfarbe» und rosa die Farbe der Wahl für Jungen.
Auszug und Übersetzung aus Caroline Dayer, Eclairages théoriques et pratiques in L’Ecole de l’égalité, cycle 2019
Veröffentlicht am 28. April 2021